Am 29.10.2022 starten wir mit einem neuen Angebot zur Förderung der Diskussions- und Streitkultur. Regelmäßig werden wir mit unserem mobilen Wohnzimmer im Monheim unterwegs sein und die Menschen einladen, sich in der Formulierung konstruktiver Kritik zu üben. Streitkultur, quo vadis? Eine Problembeschreibung:
Laut einer repräsentativen Umfrage des Allenbach Instituts sind nur noch 45 Prozent der Bundesbürger der Ansicht, dass sie in der Öffentlichkeit ihre subjektiven Ansichten frei äußern können. Grund hierfür ist nicht die Befürchtung rechtlicher Konsequenzen, sondern die Angst davor, moralisch an den Pranger gestellt zu werden. Reflektiert man die gegenwärtigen gesellschaftlichen Debatten, dann erscheinen diese in der Tat an Objektivität und Nüchternheit verloren zu haben. Gefühlt zugenommen hat dagegen das stereotype Denken über Menschen bzw. deren Meinungen und Standpunkten. Was ist los mit der Debattenkultur hierzulande? Leiden wir tatsächlich an einer Inquisition des richtigen Meinens, in welchen Abweichungen quasi als Häresie abgetan werden? Zunehmend erleben wir dabei eine Moralisierung der Debatten, welche die ganz wichtige Versachlichung des Diskussionsgegenstandes verdrängt. Dabei wird scheinbar vergessen, dass eine Diskussion ein kooperatives Unterfangen ist und zunächst dem Austausch von Argumenten und Standpunkten dient. Hierzu gehört Selbstverständlich auch das Ausüben aber ebenso das Ertragen von Kritik an der eigenen Position. Eine fruchtbare Diskussion lebt von sachlichen Kontroversen. Gleiches gilt für die Demokratie. Es geht allerdings bei Debatten nicht um Sieg oder Niederlage, wenn gleich die politischen Diskussionen leider zunehmend als ideologische Schlachtfelder inszeniert werden. Dies lässt sich regelmäßig in den gängigen politischen Talkrunden beobachten. Ein respektvolle und für allen Seiten lehrreiche Diskussionskultur, welche dem Austausch von Standpunkten dient und nicht von Gefühlen und gefühlten Meinungen dominiert wird, ist sehr wichtig und fördert die politische und demokratische Kultur. Zudem können fair geführte Debatten Vorurteile abbauen und das gegenseitige Verständnis fördern. Diese sind im Grunde auch die Ziele unseres dialogischen Angebots. Turnusmäßig einmal im Monat werden wir öffentliche Plätze in Monheim aufsuchen. Die genauen Termine werden regelmäßig hier veröffentlicht. Methodisch orientieren wir uns an vier einfache Regeln der Gesprächsführung, welche der Philosoph Daniel Dennett formuliert hat:
Daniel Denett – Vier Regeln für konstruktive Kritik
Nicht immer sind wir einer Meinung und das ist auch gut so. Wichtiger ist der Umgang mit Mitmenschen, die nicht die eigene Überzeugung teilen. Daniel Denetts vier Regeln für konstruktive Kritik sind hierbei ein hilfreiches und einfaches Werkzeug, um in den meisten Streitgesprächen konstruktiv zu bleiben, einander zuzuhören und die Kritik des Gegenübers gut aufzunehmen – vorausgesetzt, beide Gesprächspartner beherzigen diese. In seinem Buch Intuition Pumps and Other Tools for Thinking führt der Philosoph Daniel Dennett vier Regeln für konstruktive Kritik auf, die ursprünglich auf den Psychologen Anatol Rapoport zurückgehen:
1.Hören Sie sich genau an, was Ihr Gegenüber sagt. Geben Sie seine Position oder sein Argument in Ihren eigenen Worten wieder – so korrekt, klar und anschaulich wie möglich. Fragen Sie nach, ob Sie Ihr Gegenüber richtig verstanden haben.
2. Zählen Sie alle Punkte auf, denen Sie zustimmen.
3. Nennen Sie etwas, das Sie von Ihrem Gegenüber gelernt haben (wenn irgendwie möglich).
4. Bringen Sie erst dann Gegenargumente und respektvolle Kritik.
Konkret wiedersprechen diese Regeln dem „natürlichem“ Reflex auf eine Argumentation sofort mit einer Gegenargumentation oder Kritik an dieser zu reagieren. Die erste Regel ist hierbei wohl die wichtigste: Zuhören. Nur wer zuhört, kann die Position des Gegenübers auch korrekt wiedergeben. Oft sind Nuancen entscheidend. Die zweite Regel dient der Herstellung einer gemeinsamen Grundlage: Wo besteht Einigkeit? Es gibt immer gemeinsamen Überzeugungen, welche geteilt werden und überraschend oft sind die Gesprächspartner sich in vielerlei Hinsicht näher als vermutet. Die dritte Regel dient der Reflektion: Was hat der Gegenüber einem voraus? Manchmal hält man es für wenig wahrscheinlich, dass man von seinem Gegenüber etwas lernen kann – und doch ist es meistens der Fall (und wenn es wirklich nicht der Fall ist, dann sollte man sich überlegen, warum man überhaupt das Gespräch sucht). Die vierte Regel ist letztendlich erst die Formulierung der Kritik. Nach Befolgung der ersten drei Regeln legt man nun dar, warum man trotzdem anderer Meinung ist. Höflichkeit und Respekt sind hier zwingend einzuhalten – egal wie sehr einem die Meinung des Gegenübers stört. Dennett verfolgte mit diesen Regeln auch das Ziel, fehlerhafte Argumentationen zu unterbinden, die sogenannten Strohmann-Argumentation. Einen Strohmann baut man auf, wenn man die Position des Gegenübers überzeichnet oder auf andere Weise falsch darstellt. Das kann bewusst oder unbewusst geschehen. Als fehlerhaftes Argumentationsmuster ist der Strohmann nahezu allgegenwärtig. In Talkshows wird dem Kontrahenten eine absurde These in den Mund gelegt, in der Wissenschaft wird die Theorie des anderen Lagers irreführend vereinfacht und sogar im Privatgespräch verstehen wir häufig das Gegenüber zunächst einmal falsch und unterstellen ihm etwas, das er weder gesagt hat noch für wahr hält. Die vier Regeln für konstruktive Kritik sind ein einfaches Werkzeug, um die Qualität einer Diskussion und die Debattenkultur insgesamt zu verbessern. Sie helfen einem selbst bei der Formulierung einer gehaltvollen Kritik, in dem die Argumentationen des Gegenübers verinnerlicht und paraphrasiert wiedergeben wird und so auch Schwächen der eigenen Kritik aufgespürt werden können. Nicht zuletzt lehren uns die Regeln aufmerksam zuzuhören, Überlegenheitsgefühle abzulegen, Gemeinsamkeiten zu entdecken und Verständnis füreinander zu entwickeln. Das Betonen der gemeinsamen Grundlage führt zudem dazu, dass die eigenen Argumente und die eigene Kritik relevant sind. Argumente können nur überzeigen, wenn sie Prämissen (also Annahmen) enthalten, die das Gegenüber teilt. Nur dann ist das Gegenüber auch rational dazu angehalten, den eigenen Schluss zu akzeptieren. Das aktive Zuhören, das Betonen der Gemeinsamkeiten und das Herausstellen dessen, was man gelernt hat, hat jedoch noch weitere positive Eigenschaften – und zwar auf der Beziehungsebene. Zuhören signalisiert Respekt. Wenn beiden Parteien klar ist, dass sie auch in relevanten Punkten übereinstimmen und dass man voneinander lernen kann, dann sind sie auch emotional eher dazu bereit, den Gedanken des jeweils Anderen zu folgen und entsprechende Schlüsse zu akzeptieren. Wir bedanken uns an dieser Stelle für die finanzielle Förderung dieses Angebots seitens des Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“.