Debattenkultur – Quo vadis?

Laut einer repräsentativen Umfrage des Allenbach Instituts sind nur noch 45 Prozent der Bundesbürger der Ansicht, dass sie in der Öffentlichkeit ihre subjektiven Ansichten frei äußern können. Grund hierfür ist nicht die Befürchtung rechtlicher Konsequenzen, sondern die Angst davor, moralisch an den Pranger gestellt zu werden. Reflektiert man die gegenwärtigen gesellschaftlichen Debatten, dann erscheinen diese in der Tat an Objektivität und Nüchternheit verloren zu haben. Gefühlt zugenommen hat dagegen das stereotype Denken über Menschen bzw. deren Meinungen und Standpunkten. Was ist los mit der Debattenkultur hierzulande? Leiden wir tatsächlich an einer Inquisition des richtigen Meinens, in welchen Abweichungen quasi als Häresie abgetan werden? Zunehmend erleben wir dabei eine Moralisierung der Debatten, welche die ganz wichtige Versachlichung des Diskussionsgegenstandes verdrängt. Dabei wird scheinbar vergessen, dass eine Diskussion ein kooperatives Unterfangen ist und zunächst dem Austausch von Argumenten und Standpunkten dient. Hierzu gehört Selbstverständlich auch das Ausüben aber ebenso das Ertragen von Kritik an der eigenen Position. Eine fruchtbare Diskussion lebt von sachlichen Kontroversen. Gleiches gilt für die Demokratie. Es geht allerdings bei Debatten nicht um Sieg oder Niederlage, wenn gleich die politischen Diskussionen leider zunehmend als ideologische Schlachtfelder inszeniert werden. Dies lässt sich regelmäßig in den gängigen politischen Talkrunden beobachten. Doch wie können nun kontroverse (politische) Debatten fair geführt werden? Wie kommen wir zu einer respektvollen und für alle Seiten lehrreichen Diskussionskultur? Zunächst sollten wir uns mit dem Gedanken anfreunden, dass Diskussionen neben dem Austausch von Argumenten auch dazu dienen, die eigenen Haltung zu überdenken. Der sogenannte „backfire effect“ besagt, dass Menschen bei konträrer Informationslage selten ihren Standpunkt ändern, wenn sie mit Gegenargumenten bombardiert werden. Vielmehr kommt es zu einer Verhärtung des Überzeugungssystems. Allseits bekannt ist in diesen Zusammenhang auch das Phänomen der kognitiven Dissonanz, als Ursache für das Klammern an der eigenen Überzeugung: Etwas, was nicht in unser Überzeugungssystem passt, wird als störend empfunden. Jeder weiß um die Schwierigkeit, eine eigenommene Position aufgrund besserer Argumente aufzugeben. Dies will gelernt sein! Wir sollten zudem generell skeptisch sein und die eigene Meinung nicht mit Wahrheit gleichzusetzen, wie dies schon der französiche Aufklärer Denis Diderot anmerkte. Auch in der Wissenschaft wird Wahrheit nicht als etwas Universelles oder Endgültiges angesehen, sonder als etwas, was ständig erweitert, verändert oder verworfen wird. Entsprechend sollten wir auch mit unserer Meinung umgehen. Wer trotzdem mit seiner Meinung überzeugen möchte, dem sei der Ansatz der „guten Kritik“ des Philosophen Daniel Dennett zu empfehlen. Laut Dennett beginnt eine gute Kritik zunächst damit, in eigenen Worten zu wiederholen, was der Gesprächspartner geäußert hat. Anschließend gilt es den Konsens herauszustellen, also jene Punkte, worin sich beide Gesprächspartner einig sind. Drittens wird dargelegt, was vom Gegenüber gelernt wurde. Erst im letzten Schritt legt man möglichst präzise dar, warum man trotzdem anderer Meinung ist. Der Umstand, dass Menschen hierzulande zunehmend das Gefühl haben nicht mehr frei ihre Meinung äußern zu können, ist ein deutliches Alarmsignal an die Politik. Dies verlangt ferner, dass die Ursachen hierfür ergründet werden. Unsere Demokratie braucht Räume für angstfreie Debatten ohne die öffentliche Brandmarkung abweichender Meinungen. Menschenfeindliche Äußerungen und Ähnliches sind hiervon selbstverständlich ausgenommen, denn diese verdienen keinen Raum und Respekt. Die Nichtäußerung der eigenen Meinung aufgrund der Befürchtung, moralisch angegriffen zu werden, gleicht im Grunde einer Selbszensur, einer andauerenden Relativierung und Distanzierung zu sich selbst. Die Unterdrückung und Polemisierung von Meinungen sind zudem letztlich mitverantwortlich für populistische Auswüchse. Wir sollten nachsichtiger mit Andersdenkenden umgehen!